Arnulf Keese wagt neues Kapitel

ArnulfKeese

Ex-PayPal-Deutschlandchef Arnulf Keese heuert bei e.Ventures an.

…und wechselt zum Wagniskapitalgeber e.ventures. Keese steigt als General Partner ein und rückt im europäischen Team damit an die Seite von Andreas Haug, Christian Leybold und Bernado Hernandez, wie das Unternehmen in einer Presseerklärung mitteilt. Auch wenn BargeldlosBlog im Grunde kein Forum für Personalmeldung ist, für den langjährigen PayPay-Chef Deutschland/Österreich/Schweiz mache ich gerne eine Ausnahme. Der 49-jährige Physiker kennt die ePayment- und eCommerce-Welt von innen wie hierzulande nur wenige – und er ist ein Quer- und Vordenker mit spannenden Thesen und interessanten Gedanken. Mit BargeldlosBlog sprach Keese über Venture Capital, Trends und Ideen.

e.ventures sucht als Frühphasen-Investor die Marktführer von morgen und zwar vorzugsweise solche, deren Märkte es heute noch gar nicht gibt, weil sie dank disruptiver Technologien das Potenzial zum Game Changer besitzen. Für den europäischen Fonds mit Sitz in Berlin und Hamburg ist die Otto Group einer der Hauptinvestoren. Das Trüffelschwein ist aber auch global unterwegs mit Büros in San Francisco, Sao Paulo, Peking, Tokyo und anderswo.

Der im Mai 2016 aufgelegte, jüngste und sechste europäische Fonds von e.ventures mit einem Volumen von 150 Mio. US-Dollar und Fokus auf Europa kann auf klangvolle Namen wie Porsche, Haniel, Oetker und Rewe unter den Investoren verweisen. Insgesamt hat die Beteiligungsgesellschaft aktuell rund eine Milliarde US-Dollar „under Management“ und gehört damit zu den Dickschiffen auf dem See, in dem etablierte (Handels)unternehmen nach Unicorns aus der Startup-Szene fischen.

Keine Fokussierung auf FinTech

„Natürlich werde ich anfangs einen Schwerpunkt auf Fintech haben, aber nicht exklusiv“, sagt Keese im Gespräch mit BargeldlosBlog. „Ich bin offen für Trends wie ‚Internet of Things‘ und ‚Software as a service'“. Der neue General Partner sitzt seit drei Wochen im Berliner Büro von e.Ventures am Checkpoint Charlie. Keese kam 2006 zu PayPal und war dort von 2011 bis 2016 Geschäftsführer Deutschland, Österreich und Schweiz. Auch die übrigen Stationen seines Lebenslaufs – giropay, AOL Deutschland/Bertelsmann, QLX ­Ricardo – lesen sich wie Kapitel aus einer deutschen Internet-Bilderbuchkarriere.

Natürlich sagt Keese, dass es noch zu früh sei, über konkrete Investmentideen bzw. Projekte zu sprechen (und natürlich ist dieser Blog nicht der Kanal, auf dem e.ventures derartige News kommunizieren würde). Dennoch gibt der Ex-PayPal-Chef ein paar Einblicke in die Themen, die in aktuell umtreiben und Trends, die er auf dem Radar hat. Zum Beispiel: „Wenn eCommerce den Handel distrupted hat, was wird eCommerce ablösen?“, lautet eine der Fragen, der Keese bei der Suche nach „wesentlichen Gründern mit den richtigen Ideen und guten Teams“ nachgehen will.

Das Interface wird verschwinden

„Das Interface zum Internet wird immer kleiner. Es wird sich auf Null reduzieren“, prognostiziert er. Der Weg gehe von der Tastatur zur Mouse zur Gesten- und/oder Sprachsteuerung und vom Bildschirm zum Smartphone-Display und zur immer einfacheren und spezialisierten, kleinen Apps. Keese verweist auf die „Do“-App von IFTT und auf Amazons „Dash Button“ sowie auf „Echo“ und „Alexa“ als zarte Anfänge einer unaufhaltsam anrollenden Voice-Commerce-Revolution. Amazon werde diesen Weg nicht alleine gehen, Start-Ups werden diesen Bereich für den gesamten Handel zugänglich machen, ist er überzeugt.

„Die Spracherkennung funktioniert derzeit auf einen Niveau von 95 Prozent, bei Siri II sollen es bereits 97 Prozent sein, dazwischen liegen Welten“, so der frischgebackene e.venture-Partner. Die menschliche Stimme als das natürlichste Interface werde künftig eine zentrale Bedeutung spielen, glaubt Keese. Er verweist auf die Ideen des Voice-Commerce-Experten Brain Rommele, der auch schon mal im FinTech Podcast von PaymentandBanking von André M. Bajorat und Jochen Siegert zu Gast war.

Den Menschen verständlicher machen

In den letzten 50 Jahren habe die IT-Welt sich darum bemüht, den Menschen für den Computer verständlicher zu machen. (BTW: Ein schöner Satz, über den ich noch immer wechselweise schmunzle, nachdenke und erschrecke.) Gartner habe das „Internet of Things“ jüngst abermals auf den Hype Circle of Emerging Technologies gesetzt. Da stünde zwar erst noch ein Tal der Tränen bevor, „aber irgendwann kommt das an“, ist Keese überzeugt. Es gebe immer mehr Sensoren in unserer Umwelt, die letztlich auch auf die kommerziellen Transaktionen von Menschen Einfluss nehmen werden.

Beispiel am Rande: Selbstverständlich werde das selbstfahrende Auto kommen und selbstverständlich wird das disruptive Auswirkungen beispielsweise auf ganz andere Branchen haben wie etwa Versicherungen: Selbstgesteuerte Autos werden weniger Unfälle bauen, womit die Schäden und damit die Prämien sinken – daraus resultiere ein völlig neuer Bedarf an Versicherungskonzepten.

„Die Longtails dieser Entwicklungen haben gewaltige Auswirkungen“, bilanziert Keese. „Wir als e.ventures werden diese Trends in Investments umsetzen“. Dabei sei das Team völlig agnostisch unterwegs und nicht auf die „noch sehr bunte Welt der FinTechs oder InsurTechs beschränkt“. Silicon Valley sei Europa um mehr als 40 Jahre voraus, was die Venture Captial-Kultur betreffe, doch auch durch den Brexit ergeben sich für einen auf europäische Investments konzentrierten Fonds aussichtsreiche Perspektiven, gerade in Berlin. Im Umkreis von nicht mal einem Quadratkilometer rund um sein neues Büro gebe es unzählige spannende Startups, freut sich Keese, der sein Office zuvor in Dreilinden, vor den Toren der Hauptstadt hatte.

Klingt spannend. Und Keese hat zudem noch eine interessante Frage parat:

„Wenn sich das Interface zum Internet bzw. zum Produkt oder zur gewünschten Dienstleistung auf Null reduziert, was bedeutet das für Werbung? Für Rack Jobbing? Früher hatte ein Händler 20 Meter Regalfläche zur Verfügung, später dann immerhin noch einen Onlineshop. Wie aber könne der Händler oder der Hersteller seine Produkte bewerben, wenn der Kunde keinen Webshops mehr braucht? Während sich viele Händler noch fragen, ob sie auf den eCommerce-Zug aufspringen sollen oder, wie sie bei dem Tempo des Zuges auf Dauer mithalten können, stellen sich Keese und andere auf der Suche nach den Marktführern von morgen längst die Frage: „Was kommt nach eCommerce?“

Wenn der letzte Webshop geschlossen ist …

Zum Thema „die Longtails dieser Entwicklung“ noch eine Weisheit, die ich jüngst in ganz anderem Zusammenhang aufschnappte und nicht ganz blöd fand: „Die Veränderungen der nächsten drei Jahre werden in der Regel überschätzt, die der nächsten zehn unterschätzt.“

Und zum Abschluss noch ein Zitat von Arnulf Keese zum Thema Mobile Payment aus einem älteren Interview mit Der Handel, das IMHO nach wie vor aktuell ist und auch ganz gut in den obigen Kontext passt:

„Der gesamte Prozess des Auswählens, Kaufens und Bezahlens wird durch die mobile Revolution sehr viel anders aussehen als heute. Das Bezahlen ist dabei das Bindeglied, tritt aber als Prozess völlig in den Hintergrund.“

Das Interview stammt aus dem Jahr 2011. Viele mPayment-Propheten nehmen den letzten Halbsatz meines Erachtens nach heute immer noch nicht ernst genug.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert