Jamaika und das Bargeld

Positive Vibrations oder Babylon by Bus: Was bringt die Jamaika-Koalition in Sachen Bargeld?

Welche Haltung haben die Parteien der potenziellen Jamaika-Koalition zur Abschaffung des Bargelds? Wie stehen die politischen Parteien generell zu Höchstbetragsgrenzen für Bargeldzahlungen oder zu den Plänen der Europäischen Union, anonymen Zahlung im Internet zu verbieten?

Ein Gastbeitrag von Dr. Hugo Godschalk, Geschäftsfüher der auf Zahlungsverkehrthemen spezialisierten Unternehmensberatung PaySys, gibt einen Überblick zu den Bestrebungen der EU und den Positionen der Parteien.

Bargeld steht seit einigen Jahren weltweit im Mittelpunkt einer gesellschaftspolitischen Diskussion, die insbesondere in Deutschland leidenschaftlich geführt wird. Die Argumente gegen Bargeld sind vielfältig: Die anonyme Bargeldnutzung würde Geldwäsche, Steu­erhinterziehung und Kriminalität erleichtern und bei Terroristen hoch im Kurs stehen. In der Geldpo­litik verhindere die Existenz des Bargeldes die weitere Senkung der Negativzinsen durch die Zentral­bank. Das subventionierte Bargeld wäre gegenüber elektronischen bargeldlosen Zahlungsinstrumen­ten kostenintensiver und würde die weitere Marktdurchdringung preiswerter Alternativen blockie­ren.

Kurzum: Das analoge Bargeld wäre ein Anachronismus in einer Gesellschaft auf dem Weg in die Digitalisierung. Die fast bargeldlose schwedische Gesellschaft wäre der beste Beweis dafür, dass eine weitgehende Verdrängung technisch machbar ist und ihre fortschrittlichen Bürger eine derartige Veränderung ohne Probleme akzeptiert haben, ja sogar befürworten.

Bargeld ist „geprägte Freiheit“

Das Hauptargument der Bar­geldbefürworter ist die Gefährdung des Datenschutzes. Bargeld ist „geprägte Freiheit“, das keine Datenspuren bei der Verwendung hinterlässt. Für die Befürworter von Big Data oder einer sicherer Gesellschaft ist diese Eigenschaft des Bargeldes genau das Gegenargument. Mittlerweile sind meh­rere seriöse Studien veröffentlicht, die sich ausführlich mit dem Für und Wider des Bargeldes aus­einandersetzen.

In den hinter uns liegenden Wahlkampf spielten das Thema Datenschutz im Zusammenhang mit Bargeld, digitale Privatwährungen und online Zahlungen trotz Aktualität keine Rolle. Die Europäische Kommission wird das Thema aber spätestens 2018 auf die Agenda der neuen Bundesregierung setzen. Die große Koalition wollte den Ball flach halten und den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Aktionsplan zur Begrenzung der Bargeldnutzung strategisch erst nach der Wahl aufgreifen. Bemerkenswert ist allerdings, dass fast alle der im neuen Bundestag vertretenen Parteien das Geld an sich und seine Gestaltung allerdings in ihrem Wahlprogramm thematisiert haben.

Was sagen die Parteien zum Bargeld?

Im viel zitierten Wahl-O-Mat fehlte die Frage nach dem Bargeld. Im Regie­rungsprogramm 2017-2021 der CDU/CSU werden nur „leistungsfähige und sichere digitale Be­zahldienste“ (keine Aussage zur Anonymität dieser Instrumente!) befürwortet. Zusätzlich wird be­merkt, dass auch im Zeitalter der Digitalisierung Bargeld ein wichtiges Zahlungsmittel bleibt. Es bleibt offen, ob der Bargeldverbleib ein politischer Wunsch ist oder eine lapidare Feststellung. Die CSU war in ihrem zusätzlichen Wahlprogramm konkreter: „Bargeld darf nicht abgeschafft werden.“ und „Der Staat darf seinen Bürgern nicht die Freiheit nehmen, wie sie bezahlen wollen“. Die SPD äußert sich ähnlich: „Wir bekennen uns klar zum Recht der Bürger auf Bargeld und werden Bestrebungen zu des­sen Abschaffung entschieden entgegentreten.“ Nun ist die Bargeldabschaffung derzeit (trotz einer hartnäckigen Verschwörungstheorie, wonach die EU das Bargeld bereits 2018 abschaffen wird) nicht das Thema. Zur Diskussion steht die europäische Zielsetzung einer weiteren Einschränkung, die of­fensichtlich von diesem Regierungsprogramm nicht kommentiert wird, zu der aber auch die CSU und SPD schweigen.

Die kleinen Parteien

Die kleineren Parteien FDP und AfD widmeten in ihren Parteiprogrammen dem Thema Bargeld im Vergleich zu den alten Regierungsparteien relativ viel Platz. Die Liberalen setzen sich für „die uneingeschränkte Nutzung von Bargeld als Zahlungsmittel“ als „Teil unserer Freiheit“ ein. Entgegen Giralgeld entzieht sich Bargeld dem Zugriff und der Überwachung des Staates. Außerdem: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass durch ein Verbot oder die Einschränkung der Bargeldhaltung Terrorismus oder Kriminalität bekämpft werden könnten.“ Es zeigt sich, dass wenigstens diese Partei sich mit den wissenschaftlichen Studien vertraut gemacht hat. Wie bei der FDP ist bei der AfD das Thema Bargeld seit längerem ein Schwerpunktthema, das nicht nur im Wahlprogramm entsprechend gewürdigt wurde, sondern auch aktiv in Wahlkampfdiskussionen angesprochen wurde. Der Gedanke ist nicht abwegig, dass das Bargeldthema wegen thematischer Nähe zum AfD-Programm von den ande­ren Parteien im Wahlkampf nicht pro-aktiv diskutiert wird. Die AfD betont die Gefahr einer Vollüber­wachung des gläsernen Bürgers durch Staat und Banken, wenn Zahlungsvorgänge nur noch elektro­nisch abgewickelt werden. Als einzige Bundestagsparteien schweigen BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN und die Linke zum Thema Bargeld. In dem Parteiprogramm der chancenlosen PIRATEN war übrigens Datenschutz und Sicherung der Privatsphäre Hauptthema. Ihre folgerichtige Forderung „keine Einschränkungen beim Bargeldver­kehr“ wird sich politisch in der nächsten Legislaturperiode nicht entfalten können.

EU-Bürger schätzen das anonyme Bargeld

Die EU-Bürger lehnen Beschränkungen beim Bargeldverkehr mehrheitlich ab. (Foto: Bundesbank)

Egal wie sich die neue Regierung parteienmäßig zusammengesetzt wird, die Existenzsicherung des Bargeldes hat jedenfalls programmatisch offensichtlich eine breite Mehrheit hinter sich. Das entspricht dem Vox populi nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Laut einer aktuellen Umfrage im Auf­trag der Europäischen Kommission lehnen immerhin 95 Prozent der EU-Bürger die Einführung von EU-wei­ten Beschränkungen für Bargeldzahlungen ab. Bei einer voraussichtlichen Regie­rungsbeteiligung der FDP wird sich zeigen, ob Worten auch Taten folgen. Die Erfahrung zeigt, dass ein Terroranschlag reicht, um die freiheitlichen Prinzipien über Nacht über Bord zu werfen.

Anonyme Bargeld-Alternativen

Nun steht nicht nur das Bargeld unter Beschuss. Nur eine einzige Partei in Deutschland hat das hoch­aktuelle, aber in der Öffentlichkeit bislang kaum wahrgenommene Thema des drohenden Verbots der anonymen Zahlung im Internet erkannt. Die SPD schreibt: „Wir setzen uns für ein Recht auf ano­nymes bargeldloses Bezahlen unter Berücksichtigung der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen beispielsweise zum Jugendschutz und zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus ein.“ Kann man überhaupt anonym bargeldlos zahlen? Warum ist auch hier die Anonymität bedroht?

E-Geld

In der Bargeld-Diskussion wird oft übersehen, dass Bargeld derzeit nicht das einzige immanent-ano­nyme und zugleich legale Zahlungsmittel ist. Auch digitale Zahlungsinstrumente können ohne perso­nenbezogenen Bezug zum Zahler oder Zahlungsempfänger gestaltet werden. Es ist eine Gestaltungs­frage und keine technische Vorgabe. Geprägte Freiheit kann ohne Weiteres durch digitale Freiheit ersetzt werden. Diese Zahlungsmittel hinterlassen zwar – im Gegensatz zum Bargeld – digitale Spu­ren, aber ohne erforderliche Preisgabe der Identität des Nutzers. Mehrere Zentralbanken in dieser Welt denken bereits über eine virtuelle Staatswährung als zukünftigen Bargeldersatz nach, ohne sich allerdings zur Beibehaltung der Anonymität zu äußern.

Derzeitige Beispiele für weitgehend anonyme bargeldlose Zahlungsmittel sind nicht nur die sogenannten Krypto-Währungen wie Bitcoin, sondern auch Prepaid-Zahlungsinstrumente, oft von Banken als Karten herausgegeben. Für diese zuletzt genannte Geldkategorie, in der Fachsprache als E(lektronisches)-Geld bezeichnet, hat man auf EU-Ebene 2005 für einen sehr begrenzten Verfügungsspielraum (maximal 2.500 Euro pro Jahr bei wieder aufladbaren Produkten) eine anonyme Verwendung erlaubt. Die Festlegung der Verfügungsgrenzen macht das Produkt für Geldwäsche uninteressant. Bei dem Erwerb dieser anonymen E-Geld-Produkte muss der Inhaber sich nicht identifizieren.

Verbot anonymer Internet-Zahlungen

Bekannte Beispiele für derartiges E-Geld sind die (leider wenig erfolgreiche) GeldKarte und die sogenannten Prepaid-Kreditkarten (Visa und Mastercard), die weltweit für Einkäufe genutzt werden können. Wenn man in einem physischen Laden keine Daten hinterlassen möchte, ist Bargeld das geeignete Zahlungsmittel. Das E-Geld dagegen ermöglicht die anonyme Zahlung beim Internetshopping oder für den Download digitaler Inhalte, bei denen Bargeld naturgemäß nicht genutzt werden kann. In der digitalen Welt ist E-Geld das einzig gängige und legale Zahlungsmittel, das noch anonym eingesetzt werden kann. Bei dem Kauf physischer Güter, die auf dem Postweg ausgeliefert werden müssen, ist die Anonymität des Zahlungsmittels meist weniger von Bedeutung, da der Käufer sich wegen des Versandes sowieso offenbaren muss. Bei nicht-kosten­freien digitalen Inhalten (wie z. B. der Zugang zu Verlagstexten) wird die Anonymität von Datenschüt­zern als digitales Grundrecht gesehen.

Einschränkungen bei E-Geld

Mittlerweile wurden auf europäischer Ebene wegen des befürchteten Geldwäschepotenzials die Schwellenwerte des E-Geldes noch weiter nach unten geschraubt (250 € als maximaler Speicherbe­trag) und die Nutzungsmöglichkeiten weiter eingegrenzt (z. B. keine grenzüberschreitende Nutzung für wieder aufladbares E-Geld).

Die Weißmacherfunktion dieses angeblichen Geldwäschemittels ist damit wohl definitiv ad acta. Es lauert aber ein weiteres Gefahrenpotenzial dieser Kleingeldinstru­mente. Einige Terroristen haben bei den Anschlägen in Paris (November 2015) und Brüssel (März 2016) nicht nur Autos und Telefone, sondern anscheinend auch Prepaid-Kreditkarten zur logistischen Vorbereitung wie beispielsweise zur Hotelbuchung genutzt. Weitere Details (z. B. ob es um identifi­zierte oder anonyme Karten gehandelt hat) wurden bislang trotz Nachfragen nicht veröffentlicht. Jeder terroristische Anschlag führt reflexartig zu politischem Aktionismus, um den verängstigten Bürger zu beruhigen. So drängte die französische Regierung nach den Anschlägen auf ein EU-weites Verbot für anonyme Zahlungen mit Prepaid-Karten.

Fünfte Geldwäsche-Richtlinie überholt die vierte

Die Europäische Kommission hat daraufhin im Juli 2016 in aller Eile die gerade nach mühsamen Verhandlungen verabschiedete, noch nicht mal in den Mitgliedsstaaten umgesetzte vierte Geldwäscherichtlinie durch einen Vorschlag für eine neue (fünfte) Geldwäscherichtlinie ersetzt. Gemäß dieses ersten Entwurfs (2016) sollen nicht nur die Schwellenwerte für anonymes E-Geld erneut abgesenkt (von 250 auf max. 150 Euro als Speicherbe­trag), sondern darüber hinaus der Einsatz für online-Zahlungen im Internet ab Januar 2017 ausge­schlossen werden.

Damit wäre es mit der bereits sehr begrenzten Einsatzmöglichkeit von E-Geld als einziges anonymes Internetzahlungsmittel vorbei. Trotz gesellschaftlicher Brisanz dieses Vorschlags wurde das Verbot der anonymen Internetzahlung bislang nur in Experten- und Regierungskreisen diskutiert. In der Nacht- und Nebelaktion der Kommission blieb sogar der Europäische Datenschutz­beauftragter (EDSB) in der Konsultation außen vor. In Deutschland protestierten nur einige – immer­hin namhafte Datenschützer und betroffene Unternehmen. Im Rahmen des heute immer noch lau­fenden legislativen Prozesses wurde der Passus des Verbots der anonymen online Zahlung vom eu­ropäischen Parlament im März 2017 erfreulicherweise ersatzlos gestrichen.

Das Verbot wird aller­dings von den Regierungen der Mitgliedsstaaten (inklusive der alten deutschen Regierung) aus Solidarität zu Frankreich bis heute weiterhin unterstützt. Der Rat hat das durch die Kommission anvisierte Ver­bot durch seinen Vorschlag einer dreijährigen Übergangsperiode für einen Maximalbetrag von 50 Euro pro Zahlung somit zeitlich nur hinausgeschoben.

In diesem Zeitraum sollen neue technisch ver­sierte Methoden zur schnellen Identitätserfassung an der Ladenkasse entwickelt werden. Die Eini­gung zwischen Kommission, Rat und Parlament steht noch aus und wird voraussichtlich in diesem Herbst unter der Ratspräsidentschaft von Estland erreicht. Es ist ein Mitgliedsstaat, in dem gläserne Bürger im Schulterschluss mit ihrer Regierung die Digitalisierung ohne Angst vor dem Verlust ihrer Privatsphäre vorbildhaft vorantreiben. Datenschutz hemmt Digitalisierung. Der neue EU-Ratspräsi­dent räumt der Digitalisierung eine höhere Priorität ein.

Nun ist die SPD nicht die einzige Partei, die das Thema des drohenden Verbots anonymer Internetzahlungen erkannt hat. Fairerweise muss man zugeben, dass die CSU-Landesgruppe als Antwort auf den Terroranschlag in Paris bereits im Januar 2016 die Aufhebung der Anonymität für Online-Zahlungen für Beträge über 50 Euro sogar gefordert hat. Die CSU differenziert offensichtlich zwischen dem Ausmaß monetärer Anonymität in der analogen und in der digitalen Welt.

Persönliche Daten als digitales Tauschmittel

Die EU wird im Zusammenhang mit dem geforderten Verbot der anonymen Internetzahlung einen weiteren Widerspruch lösen müssen. In der ebenfalls noch nicht verabschiedeten Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der

Der Autor, Dr. Hugo Godschalk, ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung PaySys.

Bereitstellung digitaler Inhalte verfolgt die Kommission die Legalisierung des in der Praxis weit verbreiteten Tauschmodells „persönliche Daten“ gegen „digitale Dienstleistungen“. Jede „kostenlose“ Nutzung von WhatsApp oder Google beruht auf diesen Tausch. Die Nutzung der personenbezogenen Daten als Tauschwährung setzt nicht nur das derzeit nicht vorhandene legale Eigentum des Nutzers an seinen Daten voraus, sondern auch eine marktmäßige und monetäre Preisbildung für den Wert der Daten.

Außerdem soll der Nachfrager auch das Recht bekommen, eine andere Währung (wie z. B. den Euro) als Vertragsgrundlage zu bestimmen. Dies kann nur erreicht werden, wenn die Anbieter ihre digitalen Dienstleistungen auch gegen einen monetären Preis anbieten, für diejenigen, die ihre Daten nicht als Währung verwenden möchten. Folgt daraus die Forderung, dass der Nachfra­ger in diesem Vertragskontext das Recht auf Anonymität hat und die Online-Bezahlung auf Wunsch auch anonym erfolgen kann? Oder reicht es, wenn der Anbieter vertraglich zusichert, die Daten des Nachfragers nicht zu nutzen?

Die bisherige Option der anonymen Nutzung von Prepaid-Handys hat gezeigt, dass das Geschäftsmodell auf Basis einer monetären Gegenleistung (statt Daten) funktio­niert. Das gerade im Juli 2017 eingeführte Verbot der anonymen Prepaid-SIM-Karten zeigt allerdings auch, dass die staatliche Big Data-Nachfrage nicht über Marktgesetze mit persönlichen Daten und anonymen Zahlungsmitteln als Tauschmedium in einer digitalisierten Gesellschaft zu lösen ist, son­dern seinen eigenen Preis hat.

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