Die Kartenorganisationen Visa und Mastercard werden in der Schweiz von mehreren Handels- und Tourismusunternehmen auf Schadenersatz verklagt. Coop, TUI Suisse, Dertour Suisse, der Tankstellenbetreiber Volenergy, zwei Fluggesellschaften und der „Verband für einen fairen und freien Wettbewerb im Zahlungsverkehr“ (VWZ), der nach eigenen Angaben 24 kleine und mittelgroße Händler vertritt, haben gemeinsam eine Sammelklage eingereicht. Die Kläger fordern von den Kartenorganisationen 142 Mio. Franken (CHF; 152 Mio. Euro) wegen überhöhter Transaktionsgebühren in den vergangenen drei Jahren. „Ausgerechnet die Schweizer“, mag mancher Händler denken, der in Europa deutlich höhere Interchange Fee-Sätze berappen muss.

Es ist nicht das erste Mal, dass Händler und andere kartenakzeptierende Unternehmen gegen die beiden Kreditkartenorganisationen wegen überhöhter Transaktionsentgelte vorgehen. Ähnliche Klagen waren in UK und den USA erfolgreich und auch gegen das deutsche Girocardverfahren wurde vor dem Landgericht Berlin erfolgreich geklagt (nicht rechtskräftig).
Die Schweiz war allerdings bisher eher ein Land der Glückseligen, auch, was Interchange Fees anbelangte. Schon 2005 – zehn Jahre vor der EU-Kommission – befand die Wettbewerbskommission (Weko) in Bern, dass Interchange Fees eine wettbewerbsbeschränkende Abrede darstellen, die nur unter der Maßgabe einer limitierten Höhe aus Effizienzgründen zu rechtfertigen sind.
Die Vorgeschichte der Klage
Als Mastercard 2006 eine Interchange Fee für Debitkarten in der Schweiz einführen wollte, winkte die Weko kurzerhand mit dem Stoppschild und zwang die Kartenorganisation zum Einlenken.
Visa stieß 2009 dagegen auf die Gnade der Wettbewerbshüter und durfte zur Einführung der V Pay-Debitkarte im Rahmen einer „Safe Harbor“-Regelung Im Schnitt 20 Rappen pro Transaktion kassieren. Dies galt der Weko als „kartellrechtlich unproblematisch, solange eine Marktanteilschwelle von 15 Prozent nicht überschritten wird“.
Im September 2022 eröffnete die Weko schließlich eine sogenannte „Vorabklärung“ zu den Debitkarten-Gebühren von Mastercard und Visa. Mit Mastercard einigte sich die Behörde im Mai 2024 auf eine Interchange Fee von 0,12 Prozent für das Präsenzgeschäft. Visa dagegen beharrte auf mindesten 0,2 Prozent, wie es auch der europäischen Interchange Fee-Verordnung aus dem Jahr 2015 entspricht.
Auf dieser Basis klagen die Schweizer Händler also nun auf rund 152 Mio. Euro Schadenersatz gegen Visa und Mastercard – rückwirkend für drei Jahre bis zur Einleitung der Vorabklärung durch die Weko. Die ganze Vorgeschichte bzw. die Geschichte der Weko Verfahren gegen Visa und Mastercard findet sich in der Weko-Verfügung von 2024 hier schön aufgelistet.
Streitpunkt „Interchange Fees“
Zurück zur aktuellen Klage: „Im Fokus stehen die sogenannten Interchange Fees, ein zentrales Element des Kartenzahlungssystems, das Händler bei jeder Kartenzahlung belastet“, heißt es in der Erklärung des VWZ. Und weiter: „Die Wettbewerbswidrigkeit der Interchange Fees wurde von internationalen und der Schweizer Wettbewerbsbehörde mehrfach festgestellt“. Der VWZ wurde 2025 augenscheinlich als Klagevehikel gegründet, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer sind auch im „Verband elektronischer Zahlungsverkehr“ (VEZ) aktiv, der die Interessen der Kartenakzeptanten in der Schweiz gefühlt seit dem Rütlischwur vertritt.
Zur Klagebegründung beruft sich der Verband auf ökonomische Studien, die belegen sollen, dass die Kartengebühren „erheblich über einem fairen Marktpreis liegen“. Die Interchange Fee betrage in der Schweiz 0,12 bis 2,05 Prozent des jeweiligen Kartenumsatzes, je nach Kartentyp, Branche, geografischer Herkunft der Konsumenten und Art der Transaktionen, argumentieren die Kläger. Eine genauere Aufschlüsselung zwischen den Kartenarten und Mastercard und Visa bleibt der Verband schuldig. Dafür gibt es allgemeine Schelte gegen die Raffgier der „Finanzindustrie“:
„Allein im stationären Handel erzielte die Finanzindustrie 2023 mit Debit- und Kreditkarten Gebühreneinnahmen von knapp 3,5 Mrd. Franken – bei einer operativen Marge von fast 60 Prozent“, so der VWZ. Der schweizerische Handel setze jährlich insgesamt über 50 Mrd. CHF über Kredit-, Debit- und Kundenkarten um.
In der EU wurden die Interchange Fees bekanntlich im Jahr 2015 per Verordnung durch die EU-Kommission auf 0,3 Prozent für Kreditkarten und 0,2 Prozent für Debitkarten gedeckelt.
Ein ausführliches Gutachten des Beratungsunternehmens Swiss Economics aus dem Jahr 2022, das im Auftrag des „Verbands elektronischer Zahlungsverkehr“ (VEZ) erstellt wurde, empfiehlt für die Schweiz eine Interchange Fee von 0,1 Prozent für Debitkarten und 0,2 Prozent für Kreditkarten. Das Gutachten liegt BargeldlosBlog vor, weil es seit Jahren im Netz verfügbar ist.
Reaktionen von Visa und Mastercard
„Wir halten die Klage für gegenstandslos und werden uns dagegen verteidigen. Interchange-Gebühren sind von der Wettbewerbskommission anerkannt. Sie sind notwendig für Zahlungsinnovationen und um Kunden vor Betrug zu schützen. Visa erhält keinen Anteil an der Interchange“, betont die Kartenorganisation in einer Stellungnahme.
Durch die Absenkung der Gebührensätze für Debit-Transaktionen auf das EU-Niveau, spare der Schweizer Handel bereits mehr als 4 Mio. Franken im Jahr. Man stehe zudem im engen Austausch mit der Weko. „Wir befinden uns in sehr weit fortgeschrittenen Verhandlungen und sind zuversichtlich bald eine einvernehmliche Lösung zu erreichen“, so das Unternehmen.
Bei der Konkurrenz fasst man sich auf LZ-Anfrage kürzer: „Mastercard wurde keine Klage zugestellt, daher können wir uns dazu nicht äußern.“
Vergleichbare Klagen gegen Kartenorganisationen in Großbritannien – wie etwa Sainsbury’s gegen Mastercard und Visa – sowie in den USA führten zu Urteilen und milliardenschweren Vergleichen. Gegen das deutsche Debitkartensystem Girocard sind Schadenersatzklagen von Tankstellenbetreibern und der Deutschen Bahn vor dem Oberlandesgericht Berlin in zweiter Instanz anhängig. Das Landgericht Berlin hatte einigen Klägern Schadenersatzansprüche gegen die Deutsche Kreditwirtschaft zugesprochen.
Protestschreiben der EU-Händlerverbände an die Kommisison
Die europäischen Händlerverbände EuroCommerce, ECommerce Europe, Independent Europe sowie EACT und EDPIA fordern in einem Schreiben an die EU-Kommission vom 13. Mai ein Ende der „Schemeflation“, womit sie ständig erhöhten Kartengebühren adressieren. Die Interchange Fee-Verordnung müsse – zehn Jahr nach ihrem Inkrafttreten – überarbeitetet werden, heißt es in dem Brief, der BargeldlosBlog vorliegt.
Die Gebühren der internationalen Kartenorganisationen seien laut Marktdaten kumulativ zwischen 2018 und 2022 um 33,9 Prozent (durchschnittlich 7,6 Prozent pro Jahr) zusätzlich zur Inflation gestiegen, „ohne dass sich der Service für Händler und Verbraucher in der EU entsprechend verbessert“ habe. Eine andere Studie schätze, dass die Gebühren zwischen Januar 2018 und Mai 2020 um durchschnittlich 47 Prozent (in einem Kartensystem sogar um 150 Prozent) gestiegen sei. Die Europäische Kommission selbst verweise auf ähnliche Schätzungen, wonach diese Gebühren zwischen 2016 und 2021 um 1,46 Mrd. Euro gestiegen sind.
Mit ihren Forderungen haben es die Verbände immerhin schon mal zu einer Reuters-Meldung gebracht. Solche Themen werden ja aktuell leider schnell zum amerikanisch-europäische Konflikt hochgejazzt. Dabei geht es hier um ein reines Wettbewerbsthema. Denn wie schrieb die Weko so schön und klar schon 2005 als Kommission und Kartellamt noch tief und fest schliefen:
„Die WEKO qualifizierte die DMIF [domestischen multilateralen Interchange Fees] als Preisabreden im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Bst. a KG einerseits zwischen den Issuern und andererseits zwischen den Acquirern. Die WEKO hielt weiter fest, dass die DMIF unter gewissen Bedingungen aus Effizienzgründen gemäß Art. 5 Abs. 2 KG gerechtfertigt werden könnten. Zu diesem Zweck wurde eine einvernehmliche Regelung («EVR») abgeschlossen, welche die Höhe der Interchange Fees limitierte.“