Die mit Spannung erwartete Studie zur Evaluierung der „Interchange-Fee-Regulation“ von EY und Copenhagen Economics wurde geleakt und liegt BargeldlosBlog vor. Demnach haben sich die Kosten für Kartenzahlungen in Europa um 2 bis 3 Milliarden Euro pro Jahr reduziert. Und auch sonst ziehen die Autoren eine rundum positive Bilanz zur Regulierung der Kartengebühren: Kartenakzeptanten und Verbraucher profitieren.
Die im Auftrag der EU-Kommission erstellte Studie bildet nun die Basis für eine Debatte um weitere Gebührenreduzierungen per Verordnung. Der Hype um Apple Pay könnte Mastercard, Visa und den Banken dabei noch auf die Füße fallen.
235 Seiten umfasst das gute Stück und ja, ich freue mich wie Bolle, europaweit exklusiv darüber zu schreiben. Die „Study on the application of the Interchange Fee Regulation – Draft Final Report“ kursiert seit einigen Tagen in Bankkreisen und flatterte auf meine bescheidene Festplatte. In besagten Kreisen heißt es erleichtert, die Ergebnisse seien „moderat ausgefallen“. Man hatte Schlimmeres erwartet.
(tl;dr? -> Key facts der EY-Studie am Ende des Beitrags).
Dennoch sind die Truppen insbesondere bei Mastercard und Visa alarmiert und bringen sich bereits mit eigenen Studien in Stellung. Es gehe um einen „Review“ und nicht um eine Reform der IF-Verordnung, betonen die Spin Doctors der Kartengiganten hinter den Kulissen – nahezu flehentlich.
Die EY-Studie musste bekanntlich gemäß Art. 17 der Interchange-VO zur Evaluierung der gesetzlichen Gebührendeckelung aus dem Jahr 2015 erstellt werden. Mit Wirkung zum 9. Dezember 2015 hatte die EU-Kommission die sogenannten Interbankenentgelte für Zahlungen mit Kreditkarten auf 0,3 Prozent und für Debitkarten auf 0,2 Prozent vom jeweiligen Transaktionsumsatz gedeckelt. Commercial Cards und Drei-Parteien-Systeme wie Amex blieben erstmal außen vor.
Evaluierung zur Prüfung weiterer Gebührendeckelung
Der Weg zu diesem krassen und selbstbewussten Markteingriff war lang und kurvenreich. Die erste Konsultation startete am 11. Januar 2012. Und auch der jetzt inoffiziell vorliegende Evaluierungsbericht ließ auf sich warten. Ursprünglich sollte das Papier gemäß Art. 17 IF-VO zum 9. Juni 2019 veröffentlicht werden und wie heißt es dort so schön weiter:
„Der Bericht der Kommission wird gegebenenfalls von einem Gesetzgebungsvorschlag begleitet, der einen Vorschlag für eine Änderung der Obergrenzen für Interbankenentgelte enthalten kann“.
Ob es zu weiteren Absenkungen der Gebühren kommt, ist offen. Der EY-Bericht gibt keine konkreten Handlungsempfehlungen, sondern arbeitet sich brav an den elf Fragen ab, die Art. 17 IF-VO vorgibt. Die Autoren ziehen dabei eine durchweg positive Bilanz der bisherigen Auswirkungen der IF-Regulierung.
Die Deckelung der Gebühren für Kredit- und Debitkarten durch die europäische Interchange-Fee-Verordnung hat die Kosten für Kartenzahlungen in den 28 EU-Mitgliedstaaten demnach jährlich um 2 bis 3 Mrd. Euro pro Jahr reduziert.
Wie die Studienautoren feststellen, kommen diese Einsparungen auch in signifikantem Umfang bei den Akzeptanzstellen und den Konsumenten an. Zudem habe sich die Zahl der Akzeptanzstellen (+ 20 Prozent) sowie Anzahl (+ 37 Prozent) und Wert (+ 18 Prozent) der Kartenzahlungen deutlich erhöht, ebenso wie der Wettbewerb unter den Zahlungsmethoden, bilanziert die Untersuchung. Negative Effekte, wie etwa Verlagerungen von Gebühren auf andere Dienstleistungen (Kontenführung, etc.) oder nicht-regulierte Drei-Parteien-Kartensysteme (American Express, etc.) seien kaum zu beobachten.
Deutliche Einsparungen für die Konsumenten in Europa
Konkret beziffert die Studie die Einsparungen für Händler und Dienstleister (Merchants) in allen Mitgliedsstaaten im Zeitraum von 2015 bis 2017 auf 900 bis 1,2 Mrd. Euro. Nach den Berechnungen der Berater werden im exemplarisch betrachteten Lebensmitteleinzelhandel 73 Prozent (in Worten: dreiundsiebzig Prozent) der Einsparungen an die Verbraucher weitergereicht.
Auf dieser Basis errechnen die Autoren dann für die Konsumenten in fünf näher untersuchten Mitgliedsstaaten (Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien und Polen) jährliche Ersparnisse in Höhe von insgesamt 859 Mio. Euro. Pro Haushalt sparen die Verbraucher demnach im Schnitt rund 10 Euro. Die höchsten Einsparungen sind bei Debitkarten in Deutschland mit 310 Mio. Euro und bei Kreditkarten mit 142 Mio. Euro in Italien zu verzeichnen. Bei Kreditkarten sparen die Deutschen jährlich 39 Mio. Euro aufgrund der Regulierung. In einem konservativer gerechneten Szenario belaufen sich die Einsparung für die Privathaushalte in den fünf Ländern auf insgesamt 487 Mio. Euro (5,60 Euro pro Haushalt).
Der aufmerksame Beobachter wird hier zu Recht einwenden, dass die Debitkartengebühren in Deutschland doppelt reguliert wurden, da das Bundeskartellamt der Deutschen Kreditwirtschaft bereits 2014 eine Selbstverpflichtungserklärung zum sogenannten Konzentratoren-Modell abrang. Seither werden die Girocard-Gebühren über die Bankverbände bilateral mit Händler-Konzentratoren „ausgehandelt“, was ebenfalls zu signifikanten Gebührensenkungen führte.
Breit angelegte EY-Studie als Basis für Review-Prozess
Die EY-Impact-Study ist breit angelegt, unter anderem wurden mehr als 5.000 Unternehmen aus dem Bereich Banken, Kartenorganisationen, Handel und Dienstleistung befragt. Natürlich kann man an vielen Stellen Fragezeichen anbringen (LEH repräsentativ?) sowie Ergebnisse und Schlussfolgerungen in Zweifel ziehen. Das schert in Brüssel jetzt aber niemanden mehr.
Die Studie bildet – so wie sie ist – nun die Grundlage für die nächsten Schritte des EU-Gesetzgeber. Was auch immer seinem politischen Willen entspricht, die 235 Seiten „IF-Impact Study“ werden die argumentative Rechtfertigung liefern. Wenn Brüssel die Gebühren weiter absenken will, liefert die EY-Studie gute Argumente und reichlich Zahlenmaterial. Wenn Brüssel nicht erneut tätig werden will, ebenso. Ziele erreicht, Haken dran, tolle Arbeit gemacht. Neben der Abschaffung der Roaming-Gebühren ein weiteres Vorzeigeprojekt mit spürbaren Entlastungen für die Bürger Europas.
Zur Frage „Weitere Gebührenregulierung, ja oder nein?“ gilt es für Brüssel mehrere Figuren auf dem Schachbrett im Blick zu behalten: EU-Kommission und EZB wollen ein pan-europäisches Zahlungsverfahren ins Werk setzen – vorzugsweise privat organisiert, zur Not vielleicht aber auch public. Wird das gänzlich ohne oder mit reduzierten Interchange-Gebühren funktionieren? Macht eine erneute Gebührendeckelung, die in erster Linie Mastercard, Visa und eine Handvoll noch verbliebene nationale Debitschemes betreffen würde, vielleicht andere unliebsame Player wie Alipay und WeChat (noch) stärker?
Wer Apple Pay Huckepack nimmt, hat noch reichlich Luft
Anderseits: Was wurde aus den 6 Mrd. Euro Einsparungen, die die Kommission 2013 mal durch den Gebührendeckel in Aussicht stellte? Davon ist man offenbar noch weit entfernt. Und warum sollte die EU-Kommission vor einer weiteren Deckelung der Interbankenentgelte zurückschrecken, wenn die Issuer auf dem derzeitigen IF-Niveau immer noch genug Geld verdienen, um die digitale Wegelagerei von Apple (Pay) freudestrahlend mitzufinanzieren? Da scheint ja noch reichlich überschüssige Luft in der Wertschöpfungskette zu sein, die der Regulator rauslassen könnte.
BTW: Hoffentlich haben die Apple Pay-Verträge der Banken nicht allzu lange Laufzeiten oder zumindest eine vorsorgliche MIF-Anpassungsklausel. Denn die nächste IF-Regulierung wird nicht wieder drei Jahre auf sich warten lassen. Es erscheint mir zudem nicht unrealistisch, dass Brüssel etwa die feste Obergrenze von 7 Cent für Debitkartentransaktionen einzieht, die Art. 17 d IF-VO bereits ins Evaluierungsspiel miteinbringt. Was liebe Apple Pay Fanboys, wenn die IF auch für Kreditkarten noch einmal deutlich runtergedrückt werden?
Die Studienautoren geben – wie erwähnt – auch zu diesem Punkt keine konkreten Handlungsempfehlungen, halten jedoch fest, dass eine Deckelung der Interbankenentgelte auf die besagte Sieben-Cent-Obergrenze die Anzahl der Kartenzahlungen insgesamt weiter erhöhen dürfte.
Kein signifikanter Zusammenhang zu „Scheme fees“
Für den Handel beinhaltet die Studie aber auch einen Wermutstropfen: Händler und Mineralöler schimpfen seit Beginn der Regulierung kräftig über die sogenannten Scheme Fees, die seither mit viel Phantasie in der Namensgebung steigen und steigen (siehe aktuell zB Visas neue Gebührensätze). Nach Ansicht des Handels umgehen die Kartenorganisationen mit den Scheme Fees die IF-Regulierung und kompensieren ihre Verluste durch diese neue Einnahmequelle.
Die Studienautoren lässt das Thema aber relativ kalt. Sie differenzieren zwischen Scheme Fees, die die Issuer an die Kartenorganisationen zahlen und solche, die die Acquierer entrichten. Beide Posten sollen seit 2015 jeweils zwischen 100 bis 300 Mio. Euro im Jahr angestiegen sein. Einen signifikanten Zusammenhang zur IF-Regulierung, macht die Studie jedoch nur bei den Scheme Fees der Issuer aus. Hier gelte: Je höher die IF-Reduzierung, desto höher der Scheme Fee-Anstieg.
Bei den Kartenorganisationen jubelt man daher bereits: Die Studie sehe in den Scheme Fees keine Umgehung der Regulierung.
Durch die IF-Regulierung kam Bewegung in die Gebühren
Für die Sammelmappe der Payment-Nerds hier noch ein paar Bilderchen aus der EY IF-Impact Study:
-> Key Facts der EY-Impact-Study
- Einsparungen in EU 28 p.a. insgesamt: 2 – 3 Mrd. Euro
- Einsparungen Merchants von 2015-2017: 0,9 – 1,2 Mrd Euro
- Einsparungen Konsumenten in 5 EU-Ländern* p.a.: 859 Mio. Euro
- 20 % Zuwachs an Akzeptanzstellen für Kartenzahlungen in EU 28
- 37 % mehr Kartenzahlungen und 18 % höherer TX-Wert in EU 28
- Anstieg Scheme Fees Issuer p.a.: 100 – 300 Mio. Euro in EU 28
- Anstieg Scheme Fees Acquierer p.a.: 100 – 300 Mio. Euro in EU 28
- Keine Abwanderung zu Commercial Cards
- Keine Abwanderung zu Drei-Parteien-Systemen
- Kein Beleg für gestiegene Kontoführungsgebühren
- Positive Auswirkungen auf grenzüberschreitenden Zahlungen
- Positive Auswirkungen auf den Wettbewerb im Payment-Markt
*Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien und Polen
Update 12.3.: EU-Kommission veröffentlicht EY-Studie
Die EU-Kommission hat gestern eine Pressemitteilung und die finale Fassung EY-Studie veröffentlicht.
Mir ist nicht ganz klar was hier alles in die Scheme Fees eingerechnet wurde. Aber macht sich beispielsweise der steigende Anteil an Transaktionen mit starker Kundenauthentifizierung aufgrund der PSD2-Vorgaben – also eine anteilig stärkere Nutzung von EMV 3DS im E-Commerce(Card Not Present)-Bereich – hier nicht auch bei den Card Scheme fees bemerkbar? Die Studie kann schlecht in den Scheme Fees eine Umgehung der Regulierung sehen, sofern die Regulierung gerade selbst mit ein Kostentreiber ist. Dann beißt sich die Katze selbst in den Schwanz, oder wie man sagt.
Nur ein kurzer Nachtrag zu Ihrem ersten Satz: diese Antwort können vermutlich noch nicht einmal die Scheme selbst bis ins letzte Detail beantworten 😉
Und zu Ihrer Frage bezüglich SCA im Kartenumfeld: diese künstlich vom Regulator getriebene „Erlösquelle“ wird für denSchemes den nächsten großen Geldregen bescheren.
Zudem führte die Regulierung ja letztlich auch zu der Anforderung an die Scheme eine Trennung zwischen Processing- und Lizenz- herbeizuführen. Was wiederum eine indirekte Folge der ICF Senkung war….
Schöne Zusammenfassung einer grandios gescheiterten Regulierung. Natürlich wurde mit der ICF-Regulierung einem der Kostenfaktoren zu Leibe gerückt. Aber eben nur einem! Die Gesamtkosten des Händlers (auch gerne Merchant Service Charge, MSC, genannt) sind nicht in gleichem Maße und vor allem nicht auf breiter Front gesunken. Ich vergleiche die Gesamtkosten des Händlers immer gerne bildlich mit einer Luftmatratze mit nur einem Ventil, das Luft nur hineinlässt in die Matratze, aber nicht heraus. Da nützt es auch nichts, wenn man sich quer auf die Mitte auf die Matratze legt (die Interchange reguliert), um Luft rauszulassen. Das Ventil aber funktioniert nur in die „Hinein-Richtung“, stattdessen bläht sich die Matratze an den Rändern (Scheme Fees) auf mit dem Effekt, dass unterm Strich nie weniger Luft (=Kosten) in der Matratze verbleibt (ich reklamiere hiermit das Copyright auf dieses Bildnis!). Aufgrund eines Webfehlers in der ICF-Regulation bezieht sich Artikel 5 (Umgehungsverbot) leider nur auf die Interchange und nicht auf die übrigen Bestandteile der MSC. Somit verbleibt MasterCard und VISA (Vorsicht Anachronismus!) die Lizenz zum Gelddrucken. Zeit zum Umdenken!
Interessant wird es, wenn wir uns an die Präambel der Direktive erinnern: Die unvergessliche Kommissarin Nellie Kroes versprach jedem EU-Bürger zwischen 50 und 5.000 Euro Kostenersparnis pro Jahr, tausende neue Arbeitsplätze in der Finanzindustrie und eine „Woge der Innovation“.
Zaghafte Hinweise auf die bereits damals bekannten Ergebnisse der MIF-Regulierung in Australien wurden als „nicht repräsentativ“ beiseite gewischt.
Und in nicht allzu ferner Zeit führen wir diese Diskussion natürlich auch über PSD2.