Der Digitale Euro – oder warum wir mehr „Microsoft-Momente“ brauchen

Streitpunkt: Digitaler Euro

Zum Digitalen Euro ist schon alles geschrieben und gesagt worden – nur noch nicht vom EU-Parlament. Der Report des zuständigen Berichterstatters, Fernando Navarrete, wird in diesem Monat (24. Oktober) erwartet. Der Spanier ist ein Kritiker des Projekts, sein Bericht zur „Verordnung zur Einführung des Digitalen Euro“ der EU-Kommission wird mit Spannung erwartet, denn letztlich ist die digitale Staatenwährung ein politisches Projekt. Zeit für eine BestandsMomentaufnahme.

Auch Navarette hat sich freilich schon ausführlich zum „Digitalen Euro“ geäußert – zuletzt in einem LinkedIn-Post und einem ausführlichen Aufsatz in der Publikation „The Euro in 2025“. Der Abgeordnete ist Mitglied der konservativen EVP-Fraktion und war sechs Jahre lang Büroleiter des Chefs der spanischen Zentralbank, bevor er 2024 ins Europaparlament einzog. Auch seine übrigen beruflichen Stationen zeigen eindrucksvoll: Navarette ist vom Fach und kennt die Finanzwelt aus unterschiedlichen Positionen, Perspektiven und vor allem aus der Praxis.

Der gelernte Ökonom führt gewichtige Argumente gegen den Digitalen Euro ins Feld: die Gefahr von negativen Auswirkungen auf die Finanzstabilität, „die von der Kommission durch die Einführung von Haltebeschränkungen implizit“ anerkannt werde, drohende Wettbewerbsverwerfungen bei (Karten-)Zahlungslösungen, ungelöste Geldwäschethemen und natürlich das Datenschutz-Problem, wenn jegliche Zahlung rückverfolgbar ist.

Sein Bericht wird die Basis legen für die Position, mit der das EU-Parlament in die sogenannten Trilog-Verhandlungen einzieht, um dort mit Kommission und Rat die gesetzlichen Grundlagen für den Digitalen Euro auszuhandeln. Der Digitale Euro ist – wie gesagt – ein politisches Projekt, seine Rahmenbedingungen werden von den drei Gesetzgebungsgremien der EU bestimmt. Die EZB und die nationalen Zentralbanken sind nur der technische Provider, auch wenn die Vorbereitungen zur Einführung parallel zum Gesetzgebungsprozess längst laufen (siehe etwa zu den aktuellen Rahmenabkommen bei Heise).

„Do we really need a digital euro? A solution to what problem exactly?“, lautet der Titel des Aufsatzes von Navarette, der seine Haltung zusammenfasst. Gibt es kein Problem, das der Digitale Euro löst? Brauchen wir die viel beschworene „europäische Souveränität“ beim Zahlungsverkehr gar nicht? Was sagen die Befürworter?

Die Bundesbank als klarer Befürworter

Matthias Schmudde (Bundesbank) blickt mit gespannter Erwartung
auf das EU-Parlament

„Rund 60 Prozent der Kartenzahlungen in Europa werden von außereuropäischen Kartenschemes abgewickelt“, sagte Matthias Schmudde von der Bundesbank auf einer Veranstaltung des Regensburger Forschungsinstituts ibi research, die im Rahmen der Sibos-Messe Anfang Oktober stattfand. „Technologische Abhängigkeiten sind ein Risiko für die europäische Souveränität, auch im Zahlungsverkehr. Wo sind die Alternativen? Diese Fragen stellen sich zunehmend“, bilanzierte Schmudde, der für “politische und strategische Fragen im Zahlungsverkehr“ in der Bundesbank verantwortlich ist. „Die Kreditwirtschaft hat es nicht geschafft, ein europäisches digitales Bezahlverfahren zu schaffen, deshalb brauchen wir den digitalen Euro. Wir brauchen etwas, das in Europa hergestellt wird“, unterstrich Schmudde in einer Diskussionsrunde mit dem Europaparlamentarier Fabio de Masi (BSW), Gregor Roth (DZ Bank) und Prof. Dr. Hans-Gert Penzel (ibi research).

Die Deutsche Bundesbank spricht sich wie die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission vehement für die Einführung der Digitalwährung aus. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt untermauerte das zuständige Bundesbankvorstandsmitglied Burkard Balz die Position vergangene Woche und forderte den Gesetzgeber in Brüssel zum Handeln auf. Piero Cipollone, Mitglied des Direktoriums der EZB, hielt Ende September eine flammende Rede zur Notwendigkeit des Projekts.

„Einige Features des digitalen Euro werden im politischen Prozess festgelegt. Ich gehe zum Beispiel davon aus, dass es Haltelimits zum Schutz der Banken geben wird“, verdeutlichte Matthias Schmudde in Frankfurt. „Der Gesetzgebungsprozess in Brüssel zum digitalen Euro sollte möglichst bald zu einem Ergebnis führen, damit das Eurosystem darauf aufbauend die Vorbereitungsarbeiten fortführen kann.“

Der Gesetzgeber in Brüssel ist am Zug

Der Gesetzgeber ist am Zug. Die Diskussionsrunde zwischen dem Vertreter der Bundesbank, der DZ-Bank als Spitzeninstitut der Volksbanken und des Europaabgeordneten war interessant, weil sie noch einmal sehr klar die Interessenkonflikte und Problemlagen des Projekts einer digitalen Staatenwährung aufzeigte.

Diskussionsrunde mit Fabio de Masi (BSW), Matthias Schmudde (Bundesbank), Gregor Roth (DZ Bank) und Prof. Dr. Hans-Gert Penzel (ibi) (v.l.n.r.)

„Bisher kann ich noch nicht erkennen, warum Menschen den Digitalen Euro nutzen sollten“, sagte Fabio de Masi. „Wenn wir bei der Ausgestaltung der Digitalwährung zu sehr darauf achten, dass die europäische Digitalwährung den Banken keine Konkurrenz macht, riskieren wir, dass der Digitale Euro für die Verbraucher uninteressant wird“. Der Politiker des „Bündnis Sarah Wagenknecht“ konnte in seinem Impulsvortrag einige Anekdoten aus dem Wirecard-Untersuchungsausschuss beisteuern, in dem er sich einen Namen als unabhängiger Aufklärer gemacht hat. Der Wirecard-Fall sei nicht nur ein Aufsichts- und Finanzskandal gewesen, sondern habe auch deutlich gezeigt, wie bedeutsam die Kontrolle über die internationalen Zahlungsströme ist. „Unser Geldsystem ist ein öffentliches Gut, auch wenn es von privaten Akteuren getragen wird“, betonte der BSW-Politiker. Bislang werde das Thema „Schutz der kritischen Infrastrukturen“ in der europäischen Diskussion allein auf den Aspekt Verteidigung reduziert, das Thema „Zahlungsverkehr“ werde ausgeblendet. Kein Arbeitskreis im europäischen Parlament befasse sich mit der europäischen Souveränität im Payment. „Mit dem Zahlungsverkehr ist es wie mit dem Knie, man merkt es erst, wenn es weh tut“, scherzte de Masi und wies darauf hin, dass Politik eben nur krisengesteuert reagiere.

Die kritische Haltung der Kreditwirtschaft

Gregor Roth, seit mehr als 20 Jahren als Bereichsleiter für das Transaction Banking der DZ Bank verantwortlich, sieht im Digitalen Euro im Vergleich zu anderen privatwirtschaftlichen Verfahren einen Konkurrenten mit ungleichen Startvoraussetzungen: „Der Legal Tender-Status eines Digitalen Euro führt zu einem Nachteil für privat-wirtschaftliche Zahlungslösungen“, betont Roth. Mit einem Bezahlverfahren, das akzeptiert werden muss, könnten nicht-staatliche Payment-System nur schwerlich konkurrieren, aber insbesondere die privat-wirtschaftlichen Lösungen würden den Wettbewerb fördern und damit einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Souveränität liefern.

Und Roth hält die deutsche und auch die europäische Kreditwirtschaft für „schlagkräftig und willens genug“, eine paneuropäische Zahlungslösung aufzubauen: „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und diesmal wollen alle Institute den Erfolg im Interesse der zwingend notwendigen europäischen Souveränität„, betonte Roth mit den Erinnerungen an Paydirekt und Monnet im Hinterkopf. Es gelte nun, die Händler für Wero zu überzeugen. „Hier sind wir auf einem guten Weg, da wir auch gute Argumente haben“. Roth wünscht sich jedoch mehr „politische Schützenhilfe“ für die Bemühungen der Banken, ein europäisches Zahlverfahren zu etablieren – von Kommission, EZB und den sonstigen politischen Institutionen Brüssel. „Europäische Souveränität ist eine Gemeinschaftsaufgabe und jeder muss seien Beitrag dafür leisten. Wir Banken sind dazu bereit“, so Roth.

Gregor Roth (DZ Bank) fordert Chancengleichheit und politischen Rückenwind für Wero

Matthias Schmudde versicherte freilich, die Bundesbank unterstütze das Wero-Projekt und die Europäische Payment Initative (EPI) und in wohl sehr seltener Eintracht äußerte sich der Bundesbänker auch zum Abgeordneten de Masi vom Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW): „Die Position des Europaparlaments ist noch nicht klar. Ich freue mich über die sehr positive Haltung von Herrn de Masi zum digitalen Euro“, so Schmudde.

„Die Trump-Administration muss offenbar mehr Microsoft-Momente generieren„, urteilte Prof. Dr. Hans-Gert Penzel von der Uni Regensburg, der die Diskussion moderierte. Penzel spielte darauf an, dass der US-Softwarereise Microsoft dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag das Outlook-Konto sperrte, weil der Gerichtshof bei Trump in Ungnade gefallen war. Eigentlich ein warnender Weckruf zum Thema „europäische Souveränität“, aber ein Weckruf, der allzu schnell verschallte, auch wenn es eigentlich zum Schreien war. Penzel wies auch darauf hin, dass die amerikanische FED das Spielfeld digitale Währungen den privaten Kryptowährungen überlässt, die wiederum alle in US-Dollar konvertieren, was letztlich auch Relevanz in Bezug auf die US-amerikanischen Staatschulden habe. (Mehr zum „Genius Act“ im Handelsblatt)

Ich bin in Sachen Geldpolitik und Makroökonomie nicht ansatzweise genug bewandert, um diesen Aspekt der Diskussion um den Digitalen Euro zu überreißen. Mir reichen der „Microsoft-Moment“, die Erinnerung an den Rossmann/PayPal-Streit um kubanische Zigarren und die Vorstellung Mastercard und Visa verlangen 1 Cent pro Transaktion aus was auch immer für Gründen, um mich nach einem Digitalen Euro und europäischer Unabhängigkeit zu sehnen. Da brauche ich noch nicht einmal an die Kosteneinsparungen denken, die realisiert werden könnten, wenn die Kartenorganisationen und andere Player aus der Wertschöpfungskette Zahlungsverkehr fliegen.

Man stelle sich vor, wie die Trump-Administration reagieren würde, wenn die EU-Kommission aktuell auf die Idee käme, die Interchange-Regulierung signifikant nachzujustieren, wie es eigentlich dringend erforderlich wäre. Eine MIF-Verordnung wie einst im Jahre 2015 würde doch heute fraglos als transatlantische Kriegserklärung aufgenommen und mit der Androhung von Strafzöllen oder Exportkontrollen für „kritische Software“ retourniert – siehe DSA und DMA.

Wie geht es weiter mit dem Digitalen Euro?

Independence Pay: Rollt der Wero-Zug noch pünktlich ein oder kommt er gar nicht erst auf Gleis?

Fernando Navarrete, der Berichterstatter des EU-Parlaments, wird seinen Report zum Kommissionsvorschlag am 24. Oktober vorlegen. Das teilte der Schattenberichterstatter, Damian Boeselager (Volt, Grüne/Efa) am Montag in einem Pressegespräch mit. Boeselager geht davon aus, dass Navarette eine „Konditionalitätsvorbehalt“ versehen wird, spricht der Digitale Euro soll nur eingeführt werden, wenn die privat-wirtschaftlichen Initiativen EPI/Wero es bis zu einem Tag X nicht geschafft haben, in Europa eine relevante Marktabdeckung zu erreichen. Nach Vorlage des Bericht wird der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Parlaments voraussichtlich am 5. Mai 2026 eine Vorlage für das Plenum verabschieden, über die das Parlament dann abstimmen wird. Anschließend stehen die Trilog-Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten und der Kommission an. Der Rat hat sich im September 2025 auf einen Zeitplan für den Digital Euro verständigt und will seine Positionen bis zum Jahresende finalisieren. EZB-Direktor Piero Cipollone rechnet mit dem Beginn des Trilogs im Mai 2026. Dann kommt es darauf an, wie weit die Positionen auseinanderliegen. Eine Einigung vor Herbst/Ende 2026 ist eher unwahrscheinlich. Cipollone spricht von weitern zwei bis zweieinhalb Jahren, bis der Digitale Euro wirklich in den Wallets der Bürger Europas Einzug halten wird – 2028/2029?!. Genug Zeit für Wero, um zu einem relevanten und konkurrenzfähigen Zahlungsmittel zu werden?

Die Einschätzung des Schattenberichterstatters

Nach Einschätzung des Schattenberichterstatters Damian Boeselager zu den Mehrheitsverhältnissen im Parlament und im Rat stellt sich die „fundamentale Frage“, ob der Digitale Euro kommt nicht mehr. „Die EZB und die nationalen Zentralbanken machen massiv Druck. Die konservative EVP-Fraktion ist zwar noch gespalten, aber eigentlich geht es nur noch darum, das Beste aus dem Instrument zu machen“, schilderte Boeselager am heutigen Montag. Das Beste heißt für ihn: Komplexität reduzieren, die Händler von Gebühren entlasten und die User-Experience für die Verbraucher an gewohnte und gelernte Standards anzupassen. „Für mich hat es einen Wert, wenn der öffentliche Sektor die Resilienz der Zahlungsinfrastruktur absichert“, so sein Fazit zur bisherigen Debatte.

Weiter Infos und Leseempfehlungen

Ein Positionspapier von Finanzwende zur Digitalwährung findet sich hier.

Wird die Einführung des Digitalen Euro wirklich „bis zu 30“ oder 18 Mrd. Euro kosten? Die Investigativ-Profis Finanz-Szene hat die Hintergründe der PwC-Studie beleuchtet.

Die Handelsbranche ist selbstverständlich ein Befürworter niedriger Transaktionsgebühren für bargeldlose Zahlungen und damit für das Projekt. Gute Infos aus Handelssicht finden sich hier (HDE) und aus europäischer Handelssicht hier von EuroCommerce. Ein Forderungspapier des Lobbyverbandes Independent Retail mit konkreten Punkten zur Ausgestaltung der europäischen Digitalwährung findet sich hier.

Die offizielle Infoseite der EZB hier und die Haltung der Verbraucherschützer hier und last but not least die versammelte Deutsche Kreditwirtschaft hier.

Der offizielle Überblick zum legislative Fahrplan des EU-Parlaments hier.

Latest News: Was passiert im Fall eines „Bank Run“, wenn der Digitale Euro kommt? Dazu hat die EZB im Auftrag des EU-Parlaments laut Reuters eine Simulation durchgeführt und am vergangenen Freitag mehrere Szenarien je nach individuellen Haltelimits für die Bürger vorgestellt. Im „sehr unwahrscheinlichen“ Worst Case-Szenario mit einem Haltelimit von maximal 3000 Euro pro europäischer Nase würde 699 Mrd. Euro von den Geschäftsbaken abgezogen. Rund ein Dutzend (13) von 2025 europäischen Kreditinstituten würde das laut EZB-Studie nicht überleben. „Man kann den digitalen Euro nur attraktiv machen, wenn man bereit ist, den Banken ein wenig wehzutun“, zitiert Reuters Fabio De Masi in der Meldung.

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